Europäischer Klub – Militarismus und Antimilitarismus


Diskussionsrunde zu Militarismus und Antimilitarismus im Europäischen Klub
Die Rolle der BRD innerhalb der EU

Ich komme aus Deutschland, dem Land, das im letzten Jahrhundert zwei Weltkriege vom Zaun gebrochen hat und dessen faschistisches System im Zweiten Weltkrieg unzählige Völker überfallen hat und unsägliche Verbrechen begangen hat.
Die antifaschistische und demokratische Bewegung trat nach der Befreiung vom Faschismus mit der Losung „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ an. Während es in der DDR – dem sozialistischen Deutschland – zu einer konsequenten Entnazifizierung kam und einer Außenpolitik des Friedens gefolgt wurde, passierte in Westdeutschland das Gegenteil. Es dauerte nicht lange bis in der BRD hochbelastete Kriegsverbrecher, Rüstungsprofiteure und Altnazis in Machtpositionen der Wirtschaft, Justiz und aller anderen Staatsämtern gelangten. In den fünfziger Jahren erfolgte die Wiederbewaffnung Westdeutschlands, die Gründung der Bundeswehr und der Eintritt in die NATO.

Der deutsche Imperialismus war zwar der Verlierer des Zweiten Weltkrieges, ist aber ökonomisch der Gewinner der Nachkriegszeit und der größte Profiteur vom Ende der sozialistischen Staaten in Europa. Die Einverleibung der DDR durch die BRD, die Übernahme bzw. Zerschlagung des Wirtschaftspotentials des sozialistischen Deutschlands verschob auch das strategische Gleichgewicht innerhalb der EU/EG. Die BRD ist seitdem die mit Abstand größte Wirtschaftsmacht mit einem Anteil von 38 Prozent der gesamten Wirtschaftskraft der EU. Der Vergleich mit der zweitstärksten imperialistischen Macht der EU – Frankreich – zeigt, dass die zwölf größten Industriekonzerne Deutschlands zusammengefasst 199 Prozent der zwölf größten französischen Konzerne betragen. Mit der sogenannten Wiedervereinigung befürchteten Frankreich und Großbritannien, dass Deutschland nun wieder offen aggressive Großmachtpolitik betreiben würde. Leider eine sehr berechtigte Sorge.

Die BRD begann, aus ihrer ökonomischen Machtposition heraus, auch mit der Expansion ihrer politischen und militärischen Macht. Im sogenannten „2+4 Vertrag“, der de-facto ein Friedensvertrag zwischen den Alliierten des 2. Weltkrieges und der BRD war, wurde noch ausdrücklich betont, dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen solle. Doch schon sehr bald wurden diejenigen, die auf eine „Friedensdividende“ nach der Systemkonfrontation hofften, durch Worte und Taten aufgeschreckt, die schlimmes befürchten lassen mussten. So sagte der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl 1990: „Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen und kann sich jetzt offen zur seiner Weltmachtrolle bekennen“. Sein Außenminister Kinkel formulierte unzweideutig: „Nach zwei Weltkriegen gilt es nach außen zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: … zu einer Rolle zu finden, die uns und unseren Wünschen, Potential entspricht“.

Diese Rückkehr zur deutschen Großmachtpolitik fand ihren Ausdruck in der Formulierung der noch heute gültigen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“, die offizielle Aufgabenbeschreibung der Bundeswehr. Darin heißt es: „Die deutsche Politik lässt sich von den vitalen nationalen Interessen leiten. (…) (Die BW soll eingesetzt werden) zur Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt… .“ Dazu bedürfe es flexibler Krisenreaktions-, also Interventionskräfte, die auch unmittelbar danach aufgestellt wurden.

Dabei konnten die Herrschenden aber nicht so wie sie wollten vorpreschen, denn Auslandseinsätze der Bundeswehr sind mit dem Grundgesetz bis 1994 nicht vereinbar gewesen und auch die deutsche Bevölkerung stand militärischen Abenteuern der Bundeswehr sehr kritisch gegenüber.

Das erste Testfeld um deutsche Kriegseinsätze Schritt für Schritt zu legitimieren war dabei Jugoslawien, durchaus in der imperialistischen Tradition der deutschen Balkanpolitik des kaiserlichen- und des faschistischen Deutschlands. Die Bundesregierung ermunterte schon 1990 Kroatien und Slowenien zur Sezession und erkannte 1991 als erste Regierung die beiden Teilrepubliken Jugoslawiens als eigene Staaten an. Deutschland tat dies im offenen Widerspruch zur US-Regierung, zur Position der übrigen EU-Staaten und zur Haltung der UNO. Der damalige UNO-Generalsekretär warnte: „Die selektive Anerkennung durch Deutschland könnte den gegenwärtigen Konflikt ausweiten und eine explosive Situation, besonders in Bosnien schaffen. Dies wird der Funke sein, der den Balkan in Brand setzen wird.“

Die deutsche Regierung setzte in dieser Frage auch ein klares Zeichen ihrer Macht innerhalb der EU. Sie brachte den Widerstand gegen die deutsche Politik zum Erliegen, indem sie damit drohte, den Maastricht-Prozeß an dieser Frage scheitern zu lassen. Alle neutralen Beobachter waren sich einig, dass diese Entscheidung den Zerfallsprozess Jugoslawiens und die kriegerischen Tendenzen beschleunigt hat.

Kurz darauf erfolgte die – ebenfalls vorzeitige – Anerkennung von Bosnien-Herzegowina. Während Bonn im Fall der Anerkennung der kroatischen Abspaltung von Jugoslawien damit argumentierte, es müssten „national oder ethnisch einheitliche Staaten“ entstehen, wurde die Anerkennung dieses neuen Staates, bestehend aus drei etwa gleich starken Ethnien – Moslems, Serben, und Kroaten – damit begründet, es solle ein Sinnbild für die multikulturelle Gesellschaft auf dem Balkan geschaffen werden. Dabei war dies doch gerade die Bundesrepublik Jugoslawien, die eben durch diese deutsche Anerkennungspolitik zerschlagen wurde.

Es war danach auch Deutschland, das im Rahmen einer rassistischen und demagogischen Hetzkampagne gegen „die Serben“ zuallererst Luftangriffe der NATO auf serbische Stellungen in Bosnien forderte. Der damalige US-Außenminister nannte den Krieg in Bosnien treffend „Genschers-War“, nach dem ehemaligen Außenminister der BRD.

Auch in der Folgezeit war der Focus des deutschen Imperialismus auf Jugoslawien gerichtet. Also auf das Land das so unwahrscheinlich hohen Blutzoll im Kampf gegen den deutschen Faschismus geleistet hat und sich selbst von der faschistischen Besatzung befreite. Über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 ist viel geschrieben worden. Dabei gibt es sowohl in Deutschland, aber auch im europäischen Ausland und sogar in Jugoslawien selbst, eine Tendenz, die USA als die allein für diesen Krieg verantwortliche Weltmacht darzustellen. Die europäischen NATO-Staaten werden dabei quasi als US-Satellitenstaaten zu betrachtet.

Es schmälert das Ausmaß der Verbrechen der USA am jugoslawischen Volk nicht, wenn wir betonen, dass keine NATO-Macht den Jugoslawienkonflikt so geschürt hat wie Deutschland. 1996, also zu einem Zeitpunkt an dem der Name Kosovo nur Insidern bekannt war und die sogenannte „Kosovo-Befreiungsarmee“ UCK von den USA und den meisten EU-Staaten als „Terroristisch-separatistische Vereinigung“ bezeichnet wurde, begann nachweislich die Unterstützung der UCK durch die deutschen Geheimdienste BND und MAD sowie durch die militärische Eliteeinheit KSK. Diese Unterstützung lief hauptsächlich über Albanien ab und umfasste Waffenlieferungen und militärische Ausbildung der UCK-Kämpfer. Als der Bürgerkrieg im Kosovo 1998 eskalierte preschte die deutsche Regierung vor und forderte als erste NATO-Macht ein militärisches Eingreifen der NATO auch ohne UN-Mandat. Der damalige stellvertretende Außenminister der USA bezeichnete die BRD als das entscheidende Epizentrum der Prozesse der Erweiterung und Expansion auf dem Balkan.

Die deutsche Regierung rühmte sich damit, nach dem sogenannten „Massaker von Racak“, das – wie wir heute wissen – eine Inszenierung der UCK und der CIA war, durchgesetzt zu haben, dass es nicht sofort zu Luftangriffen der NATO im Sinne einer „Strafaktion“ wie 1998 gegen Sudan und Afghanistan kam. Sie rühmte sich dafür, stattdessen den Prozess der „Verhandlungen von Rambouillet“ in Gang gesetzt zu haben. Doch diese sogenannten Verhandlungen hatten allein den Zweck den darauffolgenden Angriffskrieg zu legitimieren. Denn der jugoslawischen Delegation war ein Dokument zur Unterschrift vorgelegt worden, das quasi die Besetzung des ganzen Landes durch NATO-Truppen vorsah.  Jugoslawien konnte diesen Vertrag nicht unterzeichnen und wurde nach dem Scheitern der „Verhandlungen“ als störrischer Aggressor gebrandmarkt. Vor diesem Hintergrund erscheint die deutsche Außenpolitik als besonders aggressiv.

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass der Krieg von der BRD vorbereitet und dann von den USA maßgeblich geführt wurde. Erwähnen möchte ich noch, dass sich die Reihe der verhängnisvollen militärischen Einsätzen Deutschlands auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien sehr bald mit einem Einsatz der Bundeswehr in Mazedonien fortsetzen könnte.

In Folge des verbrecherischen Angriffskrieges der NATO gegen Jugoslawien, dem ersten an dem die BRD beteiligt war, beschleunigte Berlin den Kurs auf eine militärische Großmachtrolle und auf eine Verwandlung der Bundeswehr in eine global agierende Interventionsarmee.

Noch während der letzten Tage des Balkankrieges hatten sich die EU-Staaten im Juni 1999 auf ihrer Gipfelkonferenz in Köln darauf geeinigt die Westeuropäische Union (WEU) zum militärischen Arm der EU zu machen. Bereits auf dem nächsten EU-Gipfel in Helsinki wurde beschlossen, bis zum Jahr 2003 eine hochmobile Eingreiftruppe von 15 Brigaden mit 60.000 Soldaten mit entsprechender offensiver Ausrüstung aufzustellen. Diese soll in der Lage sein, mindestens ein Jahr lang eine militärische Aktion nach Art des Kosovo-Krieges oder gleichzeitig mehrere kleine Operationen durchzuführen. Zur Sicherung einer halbjährlichen Rotation wird mittlerweile von einer Gesamtstärke von 180.000 Soldaten ausgegangen, von denen die BRD 54.000 Mann bereitstellen wird.

Man beteuert, es gehe dabei um „Konfliktverhütung und Konfliktbewältigung“, wir aber wissen aus leidvoller Erfahrung, dass es um die militärische Sicherung des Zugangs zu Märkten und Rohstoffen geht. In der Verwirklichung der Beschlüsse von Helsinki und Nizza entsteht neben der NATO schrittweise ein eigenständiger europäischer Militärpakt, in dem Deutschland naturgemäß über einen größeren Einfluss als in der von den USA geführten NATO verfügen wird. Deutschland wird mit Abstand das größte Truppenkontigent und mit Rainer Schuhwirth auch den Befehlshaber der EU-Interventionsarmee stellen. Entsprechend intensiv wird momentan der Umbau und die Modernisierung der Bundeswehr vorangetrieben. Die Interventionstruppen der deutschen Armee werden auf 150.000 Soldaten aufgestockt und somit fast verdreifacht. Insgesamt werden über 100 Mrd. Mark in neue offensive Waffensysteme investiert. Dazu zählen Großraum-Transportflugzeuge, Eurofighter-Kampfjets, Kampfhubschrauber, neue Fregatten, Cruise-Missiles und ein eigenes System von Spionagesatelliten.

Das Tempo, mit dem der deutsche Imperialismus in den letzten Jahren ein Tabu nach dem anderen gebrochen, eine Fessel nach der anderen abgestreift hat, ist atemberaubend. Für die Zukunft bleibt ein einziges Tabu übrig. Es lautet: Deutschland unternimmt keine militärischen Alleingänge. Kann man daran unter der Berücksichtigung der historischen Erfahrungen wie auch der Analyse der vergangenen Jahre wirklich glauben?

Nationale Optionen in der deutschen Militärpolitik sind jedenfalls nicht zu übersehen. Das Kriegsministerium spricht von möglichen kommenden Einsätzen der Bundeswehr im Rahmen der NATO, der EU, in „ad-hoc“-Koalitionen oder im nationalen Alleingang. Ein Beispiel ist auch der Aufbau von militärischen Spezialeineinheiten zur „Bandenbekämpfung im feindlichen Hinterland“, die außerhalb von NATO- oder EU-Strukturen unter rein nationalem Kommando konspirativ eingesetzt werden sollen. Auch die Förderung einer nationalen Rüstungsbasis in strategischen Bereichen wie der Luft- und Raumfahrtindustrie oder dem Panzerbau ist ein deutliches Zeichen.

Ernsthafte Konflikte und Risse innerhalb der NATO sind nicht zu übersehen. Neue Rüstungsprojekte werden nicht mehr mit der angeblichen Überlegenheit des Feindes, sondern mit dem Vorsprung des angeblichen Freundes begründet.

In ihrem Zukunftspapier formuliert die SDAJ: „Die Konkurrenz zwischen den NATO-Staaten steht heute noch hinter den gemeinsamen Interessen gegenüber Trikont-Staaten und Schwellenländern zurück. Aber auch die Phasen vor den beiden Weltkriegen waren gekennzeichnet durch vorübergehende Bündnisse der Weltmächte, durch kleinere kriegerische Auseinandersetzungen und Stellvertreterkriege überall in der Welt, die die Konkurrenz zwischen den Industriestaaten anfachten. So besteht aber auch Zukunft die Gefahr, dass ein Konkurrenzkampf zwischen einer EU unter deutscher Vorherrschaft und den USA militärisch ausgetragen werden könnte. Zwar sind die USA die militärisch absolut überlegene Militärmacht, aber in ihrem Schatten wächst ein erstarkendes Deutschland heran, das sich jeder historischen Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg entledigt hat. Die Gefahr wächst, dass in Zukunft Kriege drohen, die angesichts neuester Militärmaschinerie inklusive Atomwaffen alles zuvor Dagewesene in den Schatten stellen.“

Was gibt uns die Gewissheit, dass direkte kriegerische Auseinandersetzungen zwischen entwickelten kapitalistischen Staaten in Zukunft absolut ausgeschlossen sind? Ich meine: nichts. Allerdings können wir, die Friedensbewegung, die Arbeiterbewegung diese verhindern. In unserem Widerstand gegen die imperialistische Politik unseres Landes richten wir uns immer nach den Worten von Karl Liebknecht, dem Mitgründer der Kommunistischen Partei Deutschlands: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“