Festival mit Anlaufschwierigkeiten

junge Welt, 16.12.2010

junge Welt, 16.12.2010Zum Auftakt des inhaltlichen Programms der Weltfestspiele der Jugend und Studenten war am Dienstag in der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria die wohl am häufigsten gestellte Frage: »Wann geht es los?« Doch obwohl die erste Konferenz erst mit knapp sechsstündiger Verspätung begann, hielt die gute Laune der Jugendlichen aus über 100 Ländern im Tshwane Event Center weitgehend an. Besonders die südafrikanischen Delegierten sorgten immer wieder mit spontanen Umzügen tanzend und singend für gute Stimmung auf dem Festivalgelände.

Die fröhlichen Einlagen konnten jedoch letztlich nicht über das organisatorische Chaos hinwegtäuschen, das den ersten Konferenztag prägte. Eigentlich hatte sich der Weltbund der demokratischen Jugend mit diesem Afrika gewidmeten Tag viel vorgenommen. Um den Kampf gegen den Imperialismus im Sudan sollte es in einem Seminar gehen, um Solidarität mit Somalia in einem weiteren, um die Befreiung Botswanas von imperialistischen Militärbasen, Wohnungen für alle in Südafrika und um Frieden für Westafrika. Doch keine dieser Veranstaltungen fand tatsächlich statt. Die beiden Hauptkonferenzen zum Kampf für Frieden, Souveränität und Solidarität sowie zum freien und universellen Zugang zu Bildung, Wissenschaft, Kultur und Information wurden kurzerhand auf den eigentlich für die Workshops und Seminare reservierten Nachmittag verschoben. Doch auch dann fiel ein Großteil der Veranstaltungen ohne weitere Erklärung aus. Sämtliche prominente Redner, darunter Winnie Mandela und Wohnungsbauminister Tokyo Sexwale, ließen sich gar nicht blicken.

»Es scheint, als gäbe es einen Mangel an politischem Willen«, sagte gegenüber jW der Vizepräsident der indischen All India Youth Federation (AIYF), Ginu Oommen, und sprach damit aus, was viele dachten. Zugleich schränkte er ein, seine Kritik sei natürlich verfrüht. Auch die deutschen Delegierten übten sich in Geduld. Delegationsleiter Jan Salm von der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) sprach von »Geburtswehen«. Seit der Ankunft der deutschen Gruppe am Sonntag habe sich die Organisation bereits stark verbessert. »Die Dinge spielen sich ein«, so Salm, der die Ausrichtung der Weltjugendfestspiele in Südafrika begrüßte, weil »Afrika nun einmal der Kontinent ist, der am stärksten unter dem europäischen Imperialismus gelitten hat«. Sein SDAJ-Genosse Kerem Schamberger stellte heraus: »Mir kommt es auf die persönlichen Gespräche an, auf den Kontakt mit Leuten, die Widerstand leisten, um zu sehen, das man nicht allein ist.«

Zu unschönen Szenen kam es lediglich, als eine Auseinandersetzung zwischen der Frente Polisario, der saharauischen Befreiungsbewegung, und der marokkanischen Delegation handgreiflich wurde. Die Sympa­thien der Teilnehmer aus anderen Ländern waren dabei eindeutig: Ein Solidaritätsforum für die von Marokko besetzte Westsahara gehörte zu den bestbesuchten Veranstaltung des Tages. »Weil das Festival in Südafrika stattfindet, ist es für uns besonders wichtig«, so Bakina Saluh. Die 25jährige lebt von Geburt an im Flüchtlingscamp Al Aiún, in das sich ihre Eltern einst vor den Marokkanern in Sicherheit gebracht hatten. Sie erhofft sich von den Weltfestspielen eine gesteigerte Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, zumal der ANC einst in der Westsahara Kämpfer für den Widerstand gegen die Apartheid ausbildete.

Während die Delegierten am Abend auf der Festival-Wiese zu südafrikanischen House-Beats in die Nacht tanzten, entzündete sich am Ausbleiben von Essenslieferungen für die Delegierten und fehlenden Shuttle-Bussen der Zorn von Teilen der einheimischen Delegation. Die Südafrikaner kritisierten die Abwesenheit der für die Organisation des Festivals verantwortlichen Führung der ANC-Jugendliga und stürmten auf der demonstrativen Suche nach ihrer politischen Führung kurzzeitig das Medienzentrum.

Von Verbitterung sind die Südafrikaner trotzdem weit entfernt. Im Gegenteil: Zwar nannte Romeo Mokone, einer der zahlreichen Jugendliga-Delegierten, die Grabenkämpfe in seiner Organisation »einen traurigen Teil« der Weltfestspiele. »Aber wir lernen hier mit jedem Tag«, so der junge Mann aus der Hauptstadt-Provinz Gauteng. »Es ist das erste Mal in unserer Geschichte, daß die ANC-Jugendliga solch ein internationales Großereignis veranstaltet.« Die Stimmung, schiebt er gleich nach, sei schließlich gut. Wie zum Beweis zieht kurz darauf noch eine singende Delegation Südafrikaner vorbei.

Von Christian Selz, Pretoria
Erschienen am 16. Dezember 2010 in der Tageszeitung junge Welt