Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt

junge Welt, 20. Dezember 2010

junge Welt, 20. Dezember 2010Die Raumbelegung war rein zufällig. Samstag vormittag fand bei den 17. Weltjugendfestspielen in Pretoria ein Seminar zur Neuausrichtung der europäischen Armeen – darunter insbesondere der deutschen Bundeswehr – zur Durchsetzung nationaler und EU-weiter ökonomischer Interessen statt. Am Nachmittag ging es im gleichen Raum um »Die Europäische Union als imperialistische Macht«. Die Grenzen zwischen beiden Themen waren fließend.

»Die meisten afrikanischen Länder sind inzwischen Opfer der EU und ihrer Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (englisch: Economic Partnership Agreement, kurz EPA) geworden«, leitete Collin Keya, Kanzler der Nationalen Studenten Organisation Namibias, seinen Bericht ein. Sein Genosse Dan Sule, Präsident des Studierenden-Parlaments an der Internationalen Universität für Management in Windhuk, nannte die EU daher sogar den »größten Zerstörer von Entwicklung in Afrika«. Namibia sieht sich seit Jahresbeginn verstärkt dem Druck der EU ausgesetzt, weil der junge Staat im Südwesten sich weigert, ein neues EPA zu den Konditionen der EU zu unterzeichnen. Einerseits geht es um Exportzölle für Rohstoffe. Namibia hat reiche Vorkommen an Uranerz und Diamanten, außerdem Gold, Kupfer, Zinn und Blei. Andererseits geht es um den Zugang zu den europäischen Märkten für Rinder- und Schafprodukte, einem wichtigen Sektor für das 2,6 Millionen Einwohner zählende Land, in dem circa 50 Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft arbeiten. »Wenn wir die Abkommen nicht unterzeichnen, wird uns damit gedroht, daß wir vom Handel mit der EU ausgeschlossen werden«, schildert Sule die erpresserische Verhandlungspolitik. Und die höre bei der Rohstofferoberung noch lange nicht auf, die Europäer mischten sich auch in die internen und externen Angelegenheiten ihrer sogenannten Wirtschaftspartner ein. Keya würde es daher lieber sehen, wenn die afrikanischen Länder nur noch auf Ebene der Afrikanischen Union mit den Europäern verhandelten, da sie sonst leicht gegeneinander auszuspielen sein. »Die Zeit des Kolonialismus ist vorbei. Wir werden keinen Imperialisten mehr erlauben, sich in unsere Wirtschaftsangelegenheiten einzumischen.«

Von den hauptsächlich europäischen Delegierten im Raum, deren Kontinent der Tag bei den Weltjugendfestspielen gewidmet war, bekamen die Namibier langen Applaus und demonstrative Solidarität. »Für jeden Dollar, den afrikanische Länder aus den EPAs gewinnen, fließen vier Dollar nach Europa«, sagt Roberto Dias da Silva von der Kommunistischen Jugendbewegung der Niederlande. »Mit ihrer neokolonialen Agenda versucht die EU, Afrika versklavt zu halten.« Klare Worte, die Nikolaj Kofod, Jugendsekretär der Kommunistischen Partei Dänemarks, noch unterstrich, als er die EU als »eine militaristische Vereinigung, die global Ressourcen plündert«, brandmarkte. Kofod stellte besonders heraus, daß die EU-Staaten sich im Vertrag von Lissabon verpflichteten, ihre Militär-Ausgaben kontinuierlich zu erhöhen. Spätestens an dieser Stelle war die Verbindung zwischen den beiden Seminare nicht mehr zu übersehen.

Von Christian Selz, Pretoria
Erschienen am 20. Dezember 2010 in der Tageszeitung junge Welt