Imperialismus vor Gericht

Das Antiimperialistische Tribunal tagt

Aus Sotschi berichtet Roland Zschächner

Kann man eigentlich auch über etwas anderes als das Wetter reden? In Sotschi schon, obwohl die Palmen, die an jeder Ecke im Olympiapark stehen, schon lange nicht mehr einen so frischen Herbst am Schwarzen Meer erlebt haben. Zumindest am Donnerstag gibt der strahlend blaue Himmel den Blick auf die nahegelegenen, schneebedeckten Berge frei. In den Hallen, in denen die 19. Weltfestspiele der Jugend und Studenten stattfinden, bilden sich unterdessen immer wieder Menschentrauben, wenn Folkloregruppen aufspielen und zum gemeinsamen Tanzen einladen. Vor allem die ehemaligen Sowjetrepubliken, die zahlreich vertreten sind, geben eine kurze, aber nachhaltige Einführung in das landestypische Brauchtum.

Eine andere Tradition wird in einer der großen Hallen gepflegt. Das Antiimperialistische Tribunal tagt. Dabei rufen die Vorsitzenden über mehrere Tage hinweg Zeugen auf, die über jene Verbrechen berichten, die in ihren Ländern von den Staaten des globalen Westens verübt wurden und werden. Der Urteilsspruch wird keine Überraschung sein. Doch erfüllt das Tribunal eine wichtige Aufgabe: Es zeigt die verschiedenen weltweiten Interventionen der USA und ihrer Verbündeten auf und klagt damit das anhaltende Unrecht des als »Weltpolizist« auftretenden Imperiums an.

Am Mittwoch sprach unter anderem Oscar López Rivera aus der US-Kolonie Puerto Rico. Er saß fast 36 Jahre in den Vereinigten Staaten in Haft, weil er Widerstand gegen die Besatzung seiner Heimat durch Washington leistet. »Wenn wir verstehen wollen, wie der US-Imperialismus funktioniert, müssen wir nach Puerto Rico schauen«, gab der Freiheitskämpfer zu Protokoll. Den Menschen in seinem Land werde jede Möglichkeit einer eigenständigen Entwicklung genommen. »Wir hatten nie die Chance auf eine freie und souveräne Entwicklung «, erklärte López.

Seit den 50er Jahren ist die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK) im Fadenkreuz der USA. Zuerst wurde die Halbinsel mit einem Krieg überzogen, der große Teile des Landes zerstörte und Hunderttausende Menschenleben forderte, wie ein Vertreter des Landes ausführte. Die USA und ihre Verbündeten, allen voran Südkorea, würden mit Manövern, die sich gegen den Norden richten, die Region zu einem Hotspot eines drohenden Atomkrieges verwandeln.

Wohl weniger bekannt dürften den meisten Zuhörern die imperialistischen Verbrechen des Inselstaates Neuseeland sein. Doch das Land, das beste Verbindungen zu Großbritannien und den USA unterhält, ist unter anderem mit Soldaten an der Besatzung Afghanistans und des Irak beteiligt. Außerdem haben die weißen Kolonisten das Land der indigenen Maori konfisziert. Ein Unrecht, das bis heute anhält, wie eine Rednerin deutlich machte.

Provokation: Auftritt von Wladimir Schirinowski auf den Weltfestspielen

Provokation: Auftritt von Wladimir Schirinowski auf den Weltfestspielen

Am Donnerstag warteten die Zuhörer und Ankläger ungeduldig vor dem Saal, um einem neuen Verhandlungstag beizuwohnen. Doch dieser war besetzt. Der Grund war ein Auftritt des russischen Faschisten Wladimir Schirinowski, der die Gelegenheit nutzte, in der ihm bekannten Art gegen alles zu hetzen, was nicht in sein Weltbild passt: Frauen sollten besser zu Hause bleiben, Arbeit würde ihnen nur ermöglichen, davonzulaufen. Es gelte mit Gewalt und Angst zu regieren, anders könne man Menschen nicht kontrollieren. Dieses reaktionären Geschwätzes waren dann schließlich die vor allem aus Lateinamerika gekommenen Zuhörer überdrüssig. Mit Gesängen und Parolen wie »Fidel, Fidel, was hat Fidel an sich, dass die Imperialisten nicht gegen ihn ankommen?« wurden Schirinowski und seine erschreckend junge Anhängerschaft aus dem Saal komplimentiert.

Offensiv trat der Vertreter Venezuelas auf. Es gebe Beweise dafür, dass die Vereinigten Staaten sein Land gezielt destabilisieren. »Wir befinden uns in einem totalen Krieg.« Es gebe ständig Angriffe: diplomatisch, finanziell, wirtschaftlich und militärisch. Auch die Europäische Union agiere gegen Caracas, allen voran Frankreich und Spanien. »Der französische Präsident Emmanuel Macron scheint sich mehr für Venezuela zu interessieren als für die Tausenden Menschen, die im Mittelmeer ums Leben kommen«, wies der Redner die Einmischungspolitik aus Paris zurück. Auch Spanien messe – ausgehend von den eigenen Interessen – mit zweierlei Maß, wenn es demokratische Prozesse in Lateinamerika und Katalonien beurteile. Der Kampf gegen die Imperialismus bleibe für die Jugend eine dringende Aufgabe, um Frieden zu schaffen.

Erschienen am 20. Oktober 2017 in der Tageszeitung junge Welt