Nach dem Fest und vor dem Flug

Am Äquator. Foto: Fabian Linder

Am Äquator. Foto: Fabian Linder10.000 Jugendliche aus 83 Ländern von fünf Kontinenten und Dutzende Veranstaltungen in einer Woche. Das waren die Weltfestspiele der Jugend und Studierenden 2013 in Ecuador. Mit der Abschlusserklärung der Mitgliedsorganisationen des Weltbundes der demokratischen Jugend (WBDJ) und dem Abschlusskonzert von internationalen und nationalen Bands wie Banda Bassotti und Pan de Agua am Freitag, 13.12., fand das Festival sein wohlverdientes Ende.

 

Während einige Mitglieder der deutschen Delegation anschließend sofort die Rückreise antreten mussten, hatten wir unseren Rückflug erst für ein paar Tage später gebucht. So hatten wir genug Zeit, um Quito, die Hauptstadt Ecuadors, sowie die Umgebung auch mal außerhalb des Festivalgeländes, dem alten internationalen Flughafen, und von Bussen oder Taxis zu erleben und zu erkunden.

Gleich am Tag nach der Abschlussveranstaltung und ausgeschlafen von der Feier des WBDJ mussten wir erst einmal unsere Unterkunft wechseln. Vom Hostel in der Altstadt, das uns während der Weltfestspiele das ecuadorianische Innenministerium gezahlt hatte, zogen wir in ein schlichtes kleines Hostel nahe der Plaza Foch, einer ziemlichen Partymeile. Nicht umsonst wird die Gegend aufgrund der vielen hier feiernden Touristen auch „Gringolandia“ genannt.

Kurz nachdem wir dort angekommen waren, entschieden wir uns, mit dem Bus weiter zum Mittelpunkt der Welt, der „Mitad del Mundo“, zu fahren. So heißt der Ort mit den geographischen Koordinaten 00° 00’ 00“, an dem Bauwerke aus der Präinkazeit den Äquator markieren. Wie wir heute durch die modere GPS-Technik wissen, ist diese mit Sonnenuhren bestimmte Position des Äquators tatsächlich die richtige – und nicht die 240 Meter südlich liegenden Markierung, die im 18. Jahrhundert als Ergebnis einer französischen Expedition angelegt wurde.

Ein interessantes Gefühl für uns, an der „Mitte der Welt“ zu stehen – und besonders, da wir bei einer Führung viele spannende Fakten und Experimente kennenlernten. So bleibt ein rohes Ei am Äquator senkrecht stehen. Wasser läuft ohne Links- oder Rechtsdrehung im Abfluss ab.

Auf der Rückfahrt vom Äquator tauchte wie an anderen Stellen dieses Landes der Name Eloy Alfaro auf. Uns war er bereits bekannt, denn auch eines der Festivalzelte war nach ihm benannt. Eloy Alfaro war Anfang des 20. Jahrhunderts Präsident Ecuadors und bekannt für seine liberale Revolution, mit der er das damalige Staatswesen veränderte. Im Vergleich zu seinen Vorgängern gilt er aufgrund seines politischen Programms als fortschrittlicher Präsident. Im Fokus standen für ihn auch die Indianer- und Frauenfrage sowie die Trennung von Kirche und Staat.

Weiter nördlich des Äquators fuhren wir tags drauf nach Otavalo. Knapp zwei Stunden Busfahrt und eine Landschaft, die einen kaum eine Sekunde im Bus die Augen schliessen lässt, brauchte es, bis wir in dieser zwischen drei Vulkanen gelegenen Stadt ankamen. Unser Hauptziel dort war der „farbenfrohe Markt“, für den die Stadt bekannt ist. Ein Stand nach dem anderen lockte mit selbstgefertigter Kleidung aus Alpacawolle oder Schmuckstücken aus Holz und Leder.

An einem der Trödeltische entdeckten wir auch einen Stapel „Sucre“ — die ehemalige Währung Ecuadors, die im Jahr 2000 durch den US-Dollar ersetzt wurde. Der 100-Sucre-Schein stach uns ins Auge. Auf ihm ist das Porträt Simón Bolívars abgebildet. Der Schein ist zwar heute nur noch einen Cent wert, wurde von uns aber trotzdem für einen Dollar erstanden — als Andenken.

Um vor der Abfahrt noch ein bisschen Energie zu tanken, gesellten wir uns auf die Dachterrasse eines Cafés gleich gegenüber dem Markt. Beeindruckt von der Aussicht auf das Bergpanorama machten wir uns wieder auf, um noch den Bus zurück nach Quito zu erwischen. Nachts durch die Anden heimfahren – einfach nur atemberaubend.

Noch ein bisschen müde begann der nächste Tag für uns ziemlich früh. Nur einen Grund hatten wir, um sieben Uhr früh aufzustehen. Wir wollten an einen der Orte, die den Weltfestspielen ihre grandiose Kulisse gegeben hatten. Zuerst ging es mit dem Taxi zur „Teleferico“ – der Seilbahn – die uns von den 2.800 Metern Höhe, auf denen Quito liegt, bis auf 4.100 Meter brachte. Selbst von dieser Höhe aus schien sich die Hauptstadt endlos in die Länge zu ziehen. Der alte Flughafen, an dem sich die Jugend der Welt eine Woche zuvor hatte austauschen können, erschien uns von hier aus deutlich kleiner als während des Festivals.

Doch wir wollten weiter hoch. Von der Seilbahnstation gingen wir einen Trampelpfad Richtung Rucu Pichincha (4690 m) weiter, dem kleineren der beiden Gipfel des Berges Pichincha.

Auch wenn wir aus dem Staunen über die Landschaft kaum mehr herauskamen, faszinierte uns auch die Geschichte des Vulkans. So war einer seiner ersten europäischen Bezwinger vor knapp 200 Jahren der deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt. Und nur 20 Jahre nach Humboldts Expedition fand hier 1822 unter Antonio José de Sucre, einem Leutnant Simón Bolívars, die entscheidende Schlacht um die Unabhängigkeit Ecuadors von Spanien statt.

Zurück in der Stadt entschieden wir uns spontan, den Sonnenuntergang am Panecillo (dt: das Brötchen) zu verbringen. Mit einem Taxi kamen wir direkt auf den südlich der historischen Altstadt gelegenen Hügel. „Heute ist viel los“, erzählte unser Taxifahre. Vorbei an den vielen Verkaufsständen, an denen wir zu Abend aßen, zog eine Prozession von Kindern mit Laternen entlang. Ein ortskundiger Bekannter führte uns am Geländer des Hügels entlang. Hier erblickten wir im Norden die historische Altstadt mit der Plaza Grande und dem Präsidentenpalast. Hinter uns erhob sich mit einer Höhe von 41 Metern die „Virgen de Quito“, die Nachbildung der „beflügelten“ Jungfrau, die vor dem Altar der Kirche von San Francisco tanzt. „Auffallend ist“, so unser Bekannter, „dass die Jungfrau in den reicheren Norden Stadt blickt und dem armen Süden den Rücken kehrt.“

Als die Sonne untergegangen und wir mittlerweile satt waren, wollten wir mit einem Taxi wieder runter vom Berg fahren. Das war problematisch, wie sich herausstellt. Sämtliche Taxis, die an uns vorbeifuhren, waren voll oder nur privat hier. Runterlaufen war zu gefährlich. Zu viele Touristen werden hier ausgeraubt. Wir entschieden uns, willkürlich Autofahrer anzusprechen, ob sie uns mit nehmen könnten. Eine junge Frau, die bereits mit ein paar anderen Fahrgästen auf der Ladefläche eines Pick-Ups saß, rief uns zu sich. Für 25 Centavos pro Person durften wir aufsteigen. Luftig und sicher, wenn auch holprig, ging es für uns den Berg hinab. Im Hintergrund Quito bei Nacht. „Transportes gente, no papas“, ruft die junge Frau dem Fahrer zu: „Du transportierst Menschen, keine Kartoffeln!“. Wir mussten  schmunzeln.

Erschöpft von den zwei Bergen, die wir an diesem Tag hinter uns gelassen hatten, freuten wir uns, als wir im Hostel ankamen, auf unser Bett.

Am nächsten Morgen planten wir während des Frühstücks unseren letzten Tag in Quito und entschieden uns für den Mercado de Artesanía, einen Kunsthandwerkermarkt nahe unserem Hostel, und die historische Altstadt zu besuchen. Wir entdeckten dort ähnliche Dinge wie in Otavalo. Auffällig viele T-Shirts und Bilder trugen Motive von Oswaldo Guayasamin. Ein Name, der uns nicht zum ersten Mal zu Ohren kam. Wie nach Eloy Alfaro war auch nach dem ecuadorianischen Maler ein Festivalzelt benannt. Eines seiner Bilder trägt den Titel „Lagrimas de Sangre“ – Tränen aus Blut. Es zeigt ein von Händen bedecktes Gesicht. Lediglich die Augen, die Blut weinen, sind zu erkennen. Wie uns erzählt wird, malte Guayasamin das Bild 1973 nach dem Putsch gegen Salvador Allende in Chile.

Mit zwei Taxis kamen wir wie überall in der Stadt recht schnell zu unserem nächsten Ziel – der Plaza Granda. So wird der Platz vor dem Präsidentenpalast inmitten der historischen Altstadt genannt. Gleich beim Aussteigen entdeckten wir Schilder der Regierung mit der Aufschrift „Yasuni — 99,9 Prozent intakt“. Der Yasuni ist ein riesiger Nationalpark im Osten Ecuadors und gleichzeitig Heimat vieler indigenen Völker. Vor allem bekannt wurde dieser Nationalpark 2007 durch den Vorschlag der Regierung, die Ölvorkommen unter dem Yasuni nicht anzutasten und so die Natur zu schützen, wenn im Gegenzug die Weltgemeinschaft Ecuador einen Teil der dadurch verlorenen Gelder ersetzt. Die Yasuni-ITT-Initiative scheiterte jedoch im vergangenen Augus, als Präsident Rafael Correa  erklärte, die zugesagten Gelder seien bisher nur zu einem kleinen Teil eingegangen. Im Oktober stimmte das Parlament den Ölbohrungen unter strengen Auflagen in einem kleinen Teil des Parks zu. Seither kommt es zwischen Befürwortern und Kritikern zu heftigen Diskussionen.

Vor dem Präsidentenpalast stehend erklärte uns unser ortskundiger Bekannter, Rafael Correa sei der erste Präsident, der nicht im Palast wohne, sondern seine Wohnung selber bezahle. Erst ein paar Tage vorher waren Delegierte der Weltfestspiele zu einem Abendessen beim Staatschef in den Präsidentenpalast eingeladen worden.

Als wir weiter durch die Altstadt gingen, entdeckten wir verschiedene Kirchen und ließen uns deren teils kuriose Geschichten erzählen. So fehlt an einer der Kirchen ein Stein, da der Erbauer der Sage zufolge einen Pakt mit dem Teufel schloss, nach dem er seine Seele an diesen verliere, sobald die Kirche fertig sei. Daher ließ der Erbauer die Kirche bis auf diesen Stein fertig bauen. Vor einer anderen Kirche ist eine Statue von Antonio José de Sucre aufgestellt, dem südamerikanischen Freiheitskämpfer und engem Vertrauten Simón Bolívars.

Weiter ging es die Straße herunter, und wir kamen an der „La Ronda“ an, eine kleine Gasse, die um die historische Altstadt führt und eine Fülle einheimischer Restaurants beherbergt. Perfekt für uns, um Abendessen zu gehen und unseren letzten Abend in Quito zu verbringen.

Auf dem Weg zum Internationalen Flughafen Mariscal Sucre am nächsten Tag fanden wir es schade, dass die Zeit hier schon vorbei war. Als wir aus dem Taxi ausstiegen und eincheckten war uns eines jedenfalls klar: Das wird nicht unser letzter Besuch in Lateinamerika gewesen sein, und auch nicht unser letzter Besuch in Ecuador. Durch die Weltfestspiele haben wir eine Möglichkeit bekommen, uns mit diesem Land auseinanderzusetzen und es kennenzulernen. Wir haben viel Interessantes gesehen, auch wenn nicht immer alles unproblematisch verlief. Beeindruckt waren wir allemal.